Wartet Nicht Auf Bess’re Zeiten! Zum Jugendwiderstand In Der DDR

Wartet Nicht Auf Bess’re Zeiten! Zum Jugendwiderstand In Der DDR

Die Dauerausstellung bietet einen Einblick in jugendkulturell geprägte Widerstandsstrukturen im ehemaligen Ost-Berliner Bezirk Friedrichshain in den Jahren 1948-1989. Dabei wird besonders die lange Widerstandstradition des Bezirks beleuchtet.

Viele DDR-Jugendoppositionen etablierten sich insbesondere unter den Dächern evangelischer Kirchengemeinden, u.a. in unserer Galiläakirche, wo man sich offen gegen staatliche Repression aussprechen, sich vernetzen und Impulse für die friedliche Revolution 1989 setzen konnte.

Freche und respektlose Texte
Die hohen Besucherzahlen bewiesen, dass der 27-jährige Bluesmusiker Günter Holwas dem Pfarrer der Samaritergemeinde, Rainer Eppelmann, nicht zu viel versprochen hatte, als er für sein Vorhaben warb und ankündigte: »Ich mach‘ Dir deine Kirche voll!«.
Zur ersten Blues-Messe kamen etwa 250 Besucher, so viele wie sonst nur zu Weihnachten. Die meisten waren sogenannte Blueser mit Jeans, Parkas und langen Haaren. Aufgrund der steigenden Besucherzahlen fanden bald auch in der Auferstehungskirche in der Friedenstraße und in der Erlöserkirche in Lichtenberg Bluesmessen statt. Viele »normale« Kirchenbesucher reagierten
zunächst zurückhaltend, aber als der Staat versuchte, die Blues-Messen zu verhindern, überwog die Unterstützung durch die Gemeinden. Dennoch wurden vier Musiker verhaftet, Günter Holwas reiste zwangsweise aus. Veranlasst durch die scharfe Kritik der staatlichen Behörden begann die Kirchenleitung zunehmend auf die Gestaltung der zuvor frechen und pointenreichen Texte Einfluss zu nehmen und schwächte so deren Wirkung ab.

1979 bis 1986: 20 Blues-Messen – 50 000 Jugendliche
Die Blues-Messen waren eine Kombination aus Bluesmusik und moderner Gottesdienstform, bei der Probleme von Jugendlichen in der Gesellschaft angesprochen wurden. Veranstaltungen mit Konzerten und kritischen Textbeiträgen hätte der Staat verbieten können. Gegen einen Gottesdienst mit Bluesmusik gab es jedoch keine
gesetzliche Handhabe. Akteure und Publikum konnten hier den Spaß an der Musik mit einer humorvoll-kritischen Haltung gegenüber den Verhältnissen im Staat verbinden.

Titel der 20 Blues-Messen
01. Juni 1979, Von der Liebe
13. Juli 1979, Zwischen Hass und Hoffnung
15. September 1979, Aus Hoffnung leben
29. Februar 1980, Frieden – Konfliktlösung ohne Gewalt
25. April 1980, Freiheit, die wir meinen
13. Juni 1980, Leben macht Spaß
04. Juli 1980, Angst überwinden
12. September 1980, Nach den Ferien
14. November 1980, Umweltschutz – Wie gehe ich mit mir, mit Dir, mit der Erde um?
26. Juni 1981, Hin- und hergerissen
27. November 1981, Möglichkeiten zum Leben
23. April 1982, Lustlos
02. Juni 1982, Gewogen und zu leicht befunden
29. April 1983, Versuchungen
24. Juni 1983, Wir sind Protestanten!
30. September 1983, Wagnis zum Leben
27. April 1984, Ein Tag wie jeder andere
16. Juni 1985, Von der Befreiung zur Befreiung
01. Juni 1986, Rückgrat gefragt
20. September 1986, Der betrogene Betrüger

Widersprüche in den Leitlinien der SED
Die Gleichberechtigung der Frau wurde in der sozialistischen Politik offiziell propagiert. Dennoch erhielten Frauen oft weniger qualifizierte Arbeitsstellen und leisteten neben der Erwerbsarbeit auch die Versorgung der Kinder und die Haushaltsführung.
Dies waren neben der generellen Marginalisierung und Nichtbeteiligung an Entscheidungsprozessen die wesentlichen Kritikpunkte der Frauenbewegung. Zugleich waren viele Frauengruppen, z.B. die 1983 entstandenen »Frauen für den Frieden«, eng mit der Friedensbewegung verbunden und setzten sich für deren Ziele mit Nachdruck ein. Wie andere Widerstandsgruppen nutzten sie für ihre Treffen oft Kirchenräume. Belastet wurde dies durch Konflikte mit der Kirchenleitung und durch den verdeckten MfS-Einfluss. Außerhalb dieser Schutzräume standen die Frauengruppen unter staatlicher
Beeinträchtigung, z.B. bei einer Kranzniederlegung in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück 1985 oder bei der Organisation nichtstaatlicher Kinderfeste. Es kam häufig zu Verhören und Verhaftungen, teilweise zum Verlust des Arbeitsplatzes.

Lesbische Frauengruppen
Lesbische Frauen in der DDR sahen sich mit einer doppelten bzw. dreifachen Diskriminierung konfrontiert, als Frau, Lesbe und gegebenenfalls als Mutter. Laut Propaganda der DDR gab es jedoch keine Randgruppen.
Das Selbstverständnis als lesbische Frau stellte demnach die Ideologie von der Gleichheit aller in Frage. Unter anderem wurden schwul-lesbische Tanzabende erst nach langen Auseinandersetzungen mit den Staatsorganen genehmigt. Die besondere Identifikation als Lesbe verhinderte in weiten Teilen eine Unterwanderung durch Inoffizielle Mitarbeiterinnen (IM) des MfS. Dadurch konnten die lesbische Gruppen, obwohl sie zahlenmäßig gering waren, eine weitreichende kritische Auseinandersetzung mit dem DDR-Staat leisten.

Vielseitiges und wirkungsvolles Engagement

Frauengruppen, die sich in kirchlichen Räumen trafen, bildeten die unabhängige Frauenbewegung der DDR während der 1980er Jahre.
Diese Gruppen boten einen Zusammenhalt gegenüber der bevormundenden Politik und schufen innerhalb der engen Regulierungen eigene Freiräume. Engagierte Frauen machten durch zahlreiche Aktionen auf ihre Lage aufmerksam. Dazu gehörten die Organisation und Durchführung von Andachten und Informationsveranstaltungen, z.B. der »Nachtgebete für Frauen« in der Friedrichshainer Auferstehungskirche.

»Tschernobyl ist überall!«
In Berlin-Friedrichshain waren es vor allem kleine Freundeskreise und kirchliche Gruppen, deren Mitglieder seit 1986 auch in der Umweltbibliothek der Zionsgemeinde in Berlin-Mitte mitarbeiteten. Im Frühjahr 1988 spaltete sich das »Grün-Ökologische Netzwerk Arche« ab.
Bis zu seinem Aufgehen in die »Grüne Partei« der DDR im Herbst 1989 entwickelte sich das »Netzwerk Arche« mit mutigen und intelligenten Aktionen von einer Splittergruppe zu einer vitalen Umwelt- und Oppositionsbewegung und gab unter dem Schutz der Kirche die Zeitschrift »Arche Nowa« heraus. Als durch ein fahrlässiges Experiment am 26. April 1986 in einem sowjetischen Kernkraftwerk bei Tschernobyl ein schwerer Reaktorunfall verursacht wurde, protestierten die DDR-Umweltgruppen mit dem öffentlichen Aufruf »Tschernobyl ist überall!« gegen die zerstörerische und verharmlosende Umwelt- und Informationspolitik der DDR. Auch 25 Jahre später gilt das Gebiet um Tschernobyl als dauerhaft verseucht. Die Stadt wurde aufgegeben und 350 000 Menschen wurden umgesiedelt.

Protestbrief der Samaritergemeinde an Erich Honecker
Am 5. Juni 1986 schrieben Gemeindemitglieder der Samaritergemeinde einen Brief an SED-Chef Erich Honecker und forderten, die Einstellung der Regierung zur Kernkraftnutzung grundsätzlich zu überdenken.
Die Hauptforderungen lauteten:
– Die Regierung der DDR unternimmt alle ihr möglichen Schritte, um in der internationalen Energiebehörde daraufhin zu wirken, dass die dortige Zusammenarbeit – einschließlich der sofortigen und umfassenden und allgemeinen Informationspflicht bei Havarien – deutlich verbessert wird.
– Einrichtung eines obligatorischen Schulfaches mit dem Ziel, in diesem Fragen des Friedens, der Gerechtigkeit, des Umweltschutzes und eines neuen verantwortlicheren Lebensstils zu vermitteln.
– Nutzung aller Medien, der Zeitungen und Zeitschriften, der Literatur und Kunst, um vor den Risiken der Atomenergie zu warnen und die Bevölkerung auf den geplanten Ausstieg vorzubereiten.

Verleugnung von Umweltgefahren durch SED-Behörden
Offiziell gab es in der DDR keine schwerwiegende Umweltprobleme. Die Realität sah anders aus: Luftverschmutzung in Chemiebezirken und Großstädten, Baumsterben in den Gebirgsregionen, Verödung von Agrarflächen und schwerste Verunreinigung von Flüssen. In den 1980er Jahren schwand das Vertrauen insbesondere junger Menschen in die SED-Informationspolitik. Sie begannen, selbst Informationen zu sammeln und zu veröffentlichen.

Unabhängige Gruppen für den Frieden
Durch das Ende der 1970er Jahre einsetzende Wettrüsten zwischen den Militärbündnissen »Warschauer Pakt« und der »NATO« fühlten sich die Menschen in Mitteleuropa verunsichert. Abrüstungsgespräche zwischen den Vertretern der Machtblöcke wurden zumeist als unglaubwürdig wahrgenommen, zumal die Militarisierung der Zivilgesellschaft zunahm.
Die unabhängige Friedensbewegung in Ost und West trat ein für verstärkte Abrüstungsbemühungen, eine Entmilitarisierung der Gesellschaft und (in der DDR) für die Möglichkeit eines zivilen Ersatzdienstes. Nur in staatlichen Organisationen, also unter staatlicher Aufsicht, war es erlaubt, sich politisch zu betätigen. Ende der 1970er Jahre entstanden, an vielen Orten in der DDR, Gruppen, die sich unabhängig von staatlichen Organisationen mit Fragen der Friedenssicherung, der Menschenrechte und
des Umweltschutzes auseinander setzten. Aus Angst vor Verfolgung suchten diese Gruppen den Schutz der evangelischen Kirche. Auch in Friedrichshain arbeiteten Friedensinitiativen und -gruppen, z.B. die »Frauen für den Frieden« in der Auferstehungskirche, der Friedenskreis in der Samariter-Gemeinde oder die »Offene
Jugendarbeit« mit den Punks in der Pfingstkirche.

Überwachte Öffentlichkeit
In der DDR konnten sich in öffentlichen Räumen nur Gruppen treffen, die gesetzmäßig organisiert waren und deren Themen nicht der offiziellen Politik widersprachen. Ein dichtes Kontroll- und Überwachungssystem
sorgte dafür, dass diese Bedingungen streng ein-gehalten wurden. Auf diese Weise versuchte der Staat, der Bildung oppositioneller Gruppen vorzubeugen. Treffen außerhalb staatlicher Aufsicht waren nur in den Räumen der Kirche möglich.

Zu den herausragenden Aktivitäten der Friedensbewegung im Bezirk Friedrichshain zählte 1982 der »Berliner Appell«, den der Pfarrer der Samaritergemeinde, Rainer Eppelmann, gemeinsam mit dem kommunistischen Regimekritiker Robert Havemann initiierte. Darin wurden der amerikanische Präsident und der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) aufgefordert, bedingungslose Abrüstungsverhandlungen aufzunehmen. Die SED reagierte mit Haftandrohung und Hausarrest gegen die Initiatoren und Unterstützer.

Robert Havemann (1910 – 1982)
Als Mitglied der Widerstandsgruppe »Neu Beginnen« wurde Havemann vom NS-Regime 1944 zum Tode verurteilt. Er überlebte und unterstützte zunächst als überzeugter Kommunist nach dem Krieg die Politik der KPD, später der SED.
Im weiteren Verlauf entwickelte er jedoch Kritik an deren Realpolitik. Aufgrund einer parteikritischen Vorlesungsreihe, die im Westen unter dem Titel »Dialektik ohne Dogma?« erschien, wurde er 1964 aus dem Hochschuldienst entlassen, aus der SED ausgeschlossen und erhielt Berufsverbot. Im November
1976, als er gegen die Ausbürgerung seines Freundes Wolf Biermann protestierte, stellte ihn die SED-Führung bis zum Mai 1979 unter Hausarrest. Angesichts der Kriegsgefahr plädierte Havemann für einen Dialog zwischen
Kommunisten und Christen. Bis zu seinem Lebensende war er ständiger Überwachung und Verfolgung ausgesetzt.

»Frauen für den Frieden«
Die »Frauen für den Frieden« organisierten zwischen 1984 und 1987 in der Auferstehungsgemeinde die »Nachtgebete für Frauen«, in denen öffentlich sowohl eine »wirkliche« Friedenspolitik als auch die Emanzipation von Mann und Frau in der Gesellschaft gefordert wurden. Das MfS versuchte, die Veranstaltungen zu verhindern, indem es die Kirchenleitung unter Druck setzte.

Nach dem Mauerbau 1961 wurde in der DDR eine 18-monatige Wehrpflicht eingeführt. Zweimal jährlich wurden Soldaten zur »Nationalen Volksarmee« (NVA) einberufen. Unter jungen Menschen war dies vor allem wegen der
disziplinierenden Absicht verhasst, denn neben den Aufgaben der Landesverteidigung wurden die Soldaten oft einem sinnlosen körperlichen Drill und ideologischer Indoktrination unterzogen. Menschenverachtende Diskriminierungen und Misshandlungen durch Vorgesetzte und höhere Jahrgänge kamen häufig vor.
Ab 1964 gab es die Möglichkeit, einen »Bausoldatendienst« ohne Waffe abzuleisten. Viele Menschen nutzten den »Bausoldatendienst«, um damit ihre systemkritische Haltung zu demonstrieren. Weil auch Bausoldaten in die militärische Planung der SED eingebunden waren, verweigerten ab Anfang der 1980er Jahre immer mehr junge Männer den Wehrdienst auch total und setzten sich für die DDR-weite Initiative für einen sozialen Friedensdienst (SoFD) als Alternative zum Wehrdienst ein. Dresdener Initiatoren einer Unterschriftenaktion, die auch in der Galiläakirche durchgeführt wurde, sammelten 1981 DDR-weit 12 000 Unterschriften und wurden dafür zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Proteste gegen die Benachteiligungen und Inhaftierungen
In der Galiläakirche wurde seit 1982 in den sonntäglichen Gottesdiensten der inhaftierten Wehrdiensttotalverweigerer gedacht und für sie gebetet. Die SED ließ im Herbst 1985 etwa 100 Wehrdiensttotalverweigerer verhaften.
Weil zugleich eine internationale Friedenskonferenz in Genf stattfand, auf der sich die DDR als Friedensstaat präsentieren wollte, und sich gegen die Verhaftungen internationale Proteste erhoben, rückte die SED von ihrem Vorhaben ab, alle Verweigerer zu Haftstrafen zu verurteilen und entließ sie wieder. Bis zum Ende der DDR kam es – außer gegen die Anhänger der »Zeugen Jehovas« – kaum noch zu Haftstrafen gegen Totalverweigerer. Diese mussten eine bestimmte Erklärung abgeben, worauf sie der Staat nicht mehr einzog. Ein gesetzlich verankertes Recht der Verweigerung gab es nicht. Verweigerer wurden aber weiterhin ausgegrenzt. Sie durften weder studieren noch bestimmte Berufe ausüben. 1985 entstand das Beratungs- und Solidaritätsnetzwerk »Freundeskreis der Wehrdiensttotalverweigerer«, zu dem auch zahlreiche junge Menschen in Friedrichshain gehörten. Mehrere Mitarbeiter und Teilnehmer der »Offenen Arbeit«, die in Friedrichshain lebten, gehörten zum Netzwerk der Totalverweigerer und berieten verweigerungswillige junge Männer.

Benachteiligungen für Verweigerer
Wer sich in der DDR für eine Wehrdiensttotalverweigerung entschied, wurde als Feind angesehen und mit bis zu 22 Monaten Haftstrafe belegt. Er durfte nicht mehr studieren und konnte eine qualifizierte berufliche Karriere nur noch im kirchlichen Dienst ansteuern. Jedes Jahr wurden etwa 150 Wehrdiensttotalverweigerer verurteilt, davon ca. 100 »Zeugen Jehovas«. Nach 1985 vermied die SED Verurteilungen bei bestimmten Personen, indem sie diese nicht zum Wehrdienst einzog.

Mail-Art – Kunst auf Postkarten
Gerade in der DDR, in der öffentliche Meinungsäußerungen über politisch unerwünschte Themen nicht gestattet waren, wurde Mail-Art zu einer wichtigen Möglichkeit, sich individuell zu äußern, da es keine gesetzliche Handhabe gegen sie gab.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) notierte nicht ohne Bedauern am 30. Juni 1982: »Die Bekämpfung der Mail-Art durch feindlich-negative Kräfte mit strafrechtlichen Mitteln stellt sich, wie bei allen Formen feindlich-negativer bzw. oppositioneller Aktivitäten auf dem Gebiet der Kunst und Kultur, kompliziert dar.« Meist wurden Mail-Art-Objekte zu einem bestimmten Thema bestellt, angefertigt und versendet, um sie hinterher auszustellen oder zu publizieren. Zu einer Ausstellung unangepasster Künstler, darunter auch Mail-Artisten, kam es 1986 in der Samariterkirche. Unbekannte Künstler und solche, die sich außerhalb der staatlichen Kulturdirektive bewegten, konnten erstmalig ihre Arbeiten in einem größeren Rahmen zeigen.

Samisdat – Nicht genehmigte Selbstverlage
Die von verschiedenen Künstlern organisierten Sammlungen, darunter das Kunstblatt »entwerter/oder«, waren aufwändig gefertigt und erschienen nur in kleinen Auflagen. Dennoch ermittelte das MfS gegen die Herausgeber, weil sie grundsätzlich gegen das Verbot, ohne vorherige Anmeldung zu publizieren, verstießen.
Ab Mitte der 1980er Jahre wurde auch politischer Samisdat herausgegeben, z.B. der »mOAning star« der Berliner »Offenen Arbeit«. Die Herausgeber unterwanderten das Druckverbot, indem sie die Zeitschrift als »Druckerzeugnis für den inneren Dienstgebrauch« deklarierten. Der »mOAning star« startete mit 30 Exemplaren und erreichte Ende 1989 eine Auflage von 1 000 Stück.

Schreibende Kunst auf informellen Wegen
Mail-Art entsteht durch individuell gestaltete Postkarten, Briefe oder andere durch das Postsystem beförderte Gegenstände. Grafiken, Drucke, Fotografien oder Fotomontagen werden so zu einem Ausdrucksmittel innerhalb einer halböffentlichen Kommunikation, ohne sich der staatlichen Zensur zu unterwerfen. Der Begriff
Samisdat leitet sich vom russischen »Samisdatelstwo« (übersetzt: selbst herausgeben) ab. Junge Künstler dieser Bewegung publizierten Arbeiten in selbst herausgegebenen Kunstbüchern außerhalb der staatlichen Kulturaufsicht.

Wagemut und Kreativität
Armin Petras, später Intendant am »Maxim-Gorki-Theater«, gründete 1985 mit Gleichgesinnten das Projekt »Medea-Theater«, das sich mit innovativen Projekten und Performances erfolgreich der staatlichen Aufsicht entzog.
Die lose Mitgliedergruppe traf sich in Privatwohnungen und in Bauernhäusern im Umland Berlins, um ungestört proben zu können. Am Wochenende wurden die Ergebnisse in zwei oder drei Aufführungen gezeigt, von denen das Publikum auf inoffiziellen Wegen Kenntnis erhielt. Danach ging man gleich zu den Proben am nächsten Stück über. Die Aufführungsorte wechselten schnell, aber waren dennoch stark besucht. Das Repertoire umfasste nicht nur klassische und zeitgenössische Stücke, sondern auch politische Performances im urbanen Raum. So kam es zu spontanen Events, bei denen Handlungsanweisungen zuvor auf Zettel geschrieben und an die Beteiligten verteilt wurden. Das Ende war dabei in Abhängigkeit von der jeweiligen äußeren politischen oder polizeilichen Situation völlig offen.

Grenzüberschreitungen
Entgegen dem offiziellen Verbot gelang es der Gruppe um das »Medea-Theater Ost«, mit westlichen Schauspielern zusammen zu arbeiten. So bestanden 1986 intensive Kontakte zu Bremer Schauspielstudenten, die ihre Ostbesuche mit dem üblichen »Eintritt« bezahlen mussten.
Der Zwangsumtausch betrug 25 Deutsche West-Mark pro Tag im Verhältnis 1 zu 1. Später, als die Gruppe zunehmend Repressionen ausgesetzt war, entschied man sich, die begonnene Arbeit in West-Berlin fortzusetzen. Oft wurde hier die Form des »Aus-der-DDR-Herausheiratens« genutzt, wodurch die Möglichkeit der baldigen Wiedereinreise offenstand. 1989 konnte aufgrund dieser engen Verzahnung das »Totenfloß« als Inszenierung einiger Spieler vom »Medea-Theater« im Berliner Dom (Ost-Berlin) aufgeführt werden.

Theater trotzt Zensur
Theater-machen begeistert junge Leute oft, weil sich dabei künstlerischer Ausdruck und kritisches Zur-Schau-Stellen gesellschaftlicher Missstände in besonderer Weise verbinden lassen. Deshalb war die staatliche Zensur in der DDR unter anderem stark auf die Theaterszene gerichtet. Dies konnte aber nicht verhindern, dass sich auch hier Nischen bildeten, in denen Möglichkeiten zum freien Arbeiten gefunden wurden.

Die Ereignisse um die Luxemburg-Demo
Am Morgen des 17. Januar 1988 wurden etwa 120 Personen verhaftet, die am Treffpunkt Frankfurter Tor erschienen. Ihre Transparente mit einem Zitat von Rosa Luxemburg: »Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden« wurden von der Polizei und Mitarbeitern des MfS gewaltsam heruntergerissen. Eine zweite Verhaftungswelle erfolgte am 25. Januar, nachdem Freya Klier, die Frau des inhaftierten und mit Auftrittsverbot belegten Liedermachers Stephan Krawczyk, westliche Künstler öffentlich dazu aufgefordert hatte, nicht mehr in der DDR aufzutreten, solange ihr Mann in Haft sei. Sie wurde gemeinsam mit anderen Oppositionellen verhaftet.
DDR-weit kam es zu Protesten in Kirchen, die jedoch schnell zum Erliegen kamen, nachdem die Inhaftierten entgegen ihrer Erklärung ihrer Ausreise zustimmten. Diese »Januar-Affäre« spaltete die Opposition tief und warf sie um Monate zurück. Erst im Herbst kam es wieder zu größeren Aktionen gegen die SED-Herrschaft.

Das Verbot der Zeitschrift »Sputnik«
Michail Gorbatschow, der neue Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der
Sowjetunion (KPdSU), verfolgte einen neuen Kurs der politischen Öffnung unter den Leitbegriffen »Glasnost« (Transparenz) und »Perestroika« (gesellschaftlicher Umbau). Infolgedessen ging die SED auf Distanz zur Sowjetunion.
Dies äußerte sich unter anderem am 19. November 1988 durch das Verbot der populären Zeitschrift »Sputnik«. In der SED-Zeitung »Neues Deutschland« hieß es lapidar: »Sie bringt keinen Beitrag, der der Festigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft dient, stattdessen verzerrende Beiträge zur Geschichte.« Im »Sputnik« wurden Beiträge aus sowjetischen Zeitungen nachgedruckt. Ein Artikel, der sich kritisch mit Stalins Fehlern und Verbrechen im Vorfeld des II. Weltkrieges auseinandersetzte, war der Anlass für das Verbot. Abgedruckt wurde in ihm der »Hitler-Stalin-Pakt« von 1939. Der Artikel widerlegte das Geschichtsbild der SED, laut dem Kommunisten und Nationalsozialisten niemals gemeinsame Ziele verfolgt hätten. Mit diesem Verbot enttäuschte die SED auch viele eigene Mitglieder. Damit schwand die Machtbasis der Parteiführung auch in den eigenen Reihen. In Großbetrieben wie NARVA wurden jedoch die entsprechenden Seiten aus dem »Sputnik« kopiert und weiter verteilt.

Staatliche Demonstration
Zum 17. Januar 1988 riefen oppositionelle Gruppen zu einer Teilnahme an der jährlichen staatlichen Demonstration zum Gedenken an die Ermordung der kommunistischen Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Jahre 1919 auf. Weil zahlreiche Ausreisewillige ihre Teilnahme an dieser Demonstration ankündigten, riefen andere Oppositionelle, die in der DDR bleiben und dort Veränderungen herbeiführen wollten,
dazu auf, dieser Demonstration fernzubleiben.

Unabhängige »Wahlhelfer«
Anlässlich der Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 bereiteten Basisgruppen überall in der DDR Überprüfungen der Stimmenauszählungen vor. Friedrichshainer Mitarbeiter der »Kirche von Unten« gaben ein »Extra-Blatt« heraus, das junge Leute informierte und mobilisierte.
In Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Weißensee konnten die Auszählungen in fast allen Wahllokalen durch unabhängige Beobachter überprüft werden. Die Ergebnisse wurden in der »Kirche von Unten« zusammengetragen. Sie wichen um etwa 10 bis 15 Prozent von den offiziellen Zahlen ab. Damit war der Wahlbetrug erwiesen, das SED-Regime hatte seine Glaubwürdigkeit eingebüßt. In den folgenden Wochen wurden zahlreiche Eingaben gegen den Wahlbetrug verfasst. Offiziell wurde das Thema verschwiegen. Eine Gruppe, die zum Umfeld der »Kirche von Unten« gehörte, demonstrierte jeden siebten Tag im Monat auf dem Alexanderplatz gegen die Wahlfälschung. Der letzte Staatsfeiertag der DDR am 7. Oktober 1989 fiel auf einen solchen Tag. Der Protest gegen die Wahlfälschung mündete schließlich in der Massenbewegung, die zum Sturz der SED-Herrschaft führte.

1989 – Das Jahr des Mauerfalls
Der politische Ansehensverlust des SED-Regimes trat im Sommer 1989 immer deutlicher zu Tage. In der Bevölkerung traf die Ignoranz der SED gegenüber den Reformbemühungen in der Sowjetunion und den Fälschungen der Kommunalwahlergebnisse auf Unverständnis.
Als sich in Ungarn im Sommer 1989 die Grenzen zu Österreich öffneten, nutzten tausende Bürger diese Chance zur Flucht. Immer mehr Menschen wagten es, ihren Protest öffentlich zu artikulieren. Unter dem Motto »Wir sind das Volk!« schlossen sich Zehntausende den Montagsdemonstrationen an. Ihre Forderungen nach freien Wahlen und Zulassung neuer Parteien zielten auf den Sturz der SED-Diktatur. Durch die Absetzung von Partei- und Staatschef Erich Honecker und weiterer Parteiführer und die Ankündigung von Reformen versuchte die SED, ihre Macht zu erhalten. Dies war in den Augen eines Großteils der Bevölkerung unglaubwürdig. Am 4. November 1989 kam es zu der größten Demonstration in der Geschichte der DDR. Künstler und Intellektuelle forderten auf dem
Alexanderplatz die Zulassung neu gegründeter Parteien, demokratische Wahlen sowie Meinungs-, Presse- und Reisefreiheit. Einer der letzten Versuche der SED, die Menschen zurückzugewinnen, war die Ankündigung, mehr Reisen in den Westen zuzulassen. Doch die Menschen stürmten am 9. November 1989 die Grenzübergänge. Durch den Fall der Mauer war die »Friedliche Revolution« unumkehrbar.

Wahlfälschungen
Bereits anlässlich der Volkskammerwahlen am 8. Juni 1986 überprüfte der Friedenskreis der Samaritergemeinde die Auszählungen der Wählerstimmen in acht Friedrichshainer Wahllokalen. Das Ergebnis war erstaunlich: Allein in diesen Wahllokalen ergaben sich zwei Drittel aller offiziellen Nichtwählerstimmen des
Bezirks. Der Verdacht einer Manipulation lag nahe.

In der offiziellen Sprachregelung des SED-Regimes wurde die Mauer als »Antifaschistischer Schutzwall« bezeichnet, der Menschenhandel, Abwerbung und Sabotage verhindern sollte. Immer wieder versuchten Menschen, über die Spree nach West-Berlin zu gelangen.
An der Mauer zwischen Friedrichshain und Kreuzberg wurden folgende Personen auf der Flucht direkt oder indirekt getötet: Udo Düllick, geb. am 3. August 1936, unter Beschuss ertrunken am 5. Oktober 1961 in der Spree – Werner Probst, geb. am 18. Juni 1936, erschossen am 14. Oktober 1961 an der Schillingbrücke – Philipp Held, geb. am 2. Mai 1942, ertrunken am 22. April 1962, in der Spree tot geborgen – Hans Räwel, geb. am 11.Dezember 1941, erschossen am 1. Januar 1963 an der Oberbaumbrücke – Wolf-Olaf Muszynski, geb. am 1. Februar 1947, ertrunken im Februar 1963 in der Spree – Unbekannter Flüchtling, ertrunken am 19. Januar 1965 in der Spree nahe der Mühlenstraße – Ulrich Krzemien, geb. am 13. September 1940, ertrunken am 25. März 1965 nahe des Osthafens – Heinz Müller, geb. am 16. Mai.1943, erschossen am 19. Juni.1970 nahe der Schillingbrücke – Manfred Weylandt, geb. am 12. Juli 1942, angeschossen und ertrunken am 14. Februar 1972 in der Spree.
Fünf Kinder aus Kreuzberg verloren zwischen 1966 und 1975 ihr Leben, weil sie beim Spielen an der schlecht gesicherten Uferanlage der Spree am Gröbenufer (heute May-Ayim-Ufer) ins Wasser fielen und nicht gerettet werden »durften«. Es handelte sich um einen italienischen, zwei deutsche und zwei türkische Jungen. Für die Rettung der Kinder waren die Ost-Berliner Behörden zuständig, denn die Spree gehörte hier in ihrer gesamten Breite zu Ost-Berlin. Die West-Berliner Rettungsdienste wagten es nicht einzugreifen, da sie befürchten mussten, von den DDR-Grenztruppen beschossen zu werden. Daher mussten sie tatenlos zusehen, wie die Kinder ertranken. Auch von der östlichen Seite aus erfolgten die Rettungsaktionen zu spät. Folgende Kreuzberger Kinder kamen zu Tode: Andreas Senk, geb. 1960, ertrunken am 13. September 1966 – Cengaver Katranci, geb. 1964, ertrunken am 30. Oktober 1972 – Siegfried Kroboth, geb. am 23. April 1968, ertrunken am 14. Mai 1973 an der Brommybrücke – Guiseppe Savoca, geb. am 22. April 1968, ertrunken am 15. Juli 1974 – Cetin Mert, geb. am 11.Mai 1970, ertrunken am 11. Mai 1975.

Grenze zweier politisch verfeindeter Systeme
Vor der Trennung der beiden Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg war die Oberbaumbrücke
eine wichtige Verkehrsverbindung zwischen dem sowjetischen und dem amerikanischen Sektor. Durch die Mauer wurden aus den Innenstadtbezirken Randgebiete. Auf der Ostseite wurde der sogenannte Todesstreifen eingerichtet. Er umfasste die gesamte Grenze zwischen der DDR und West-Berlin sowie der Bundesrepublik Deutschland auf einer Länge von mehreren hundert Kilometern. Durch das unmenschliche Grenzsystem kamen viele Menschen zu Tode.

Grenzöffnung im Bezirk Friedrichshain
In der Nacht zum 10. November 1989 wurde der Grenzübergang auf der Oberbaumbrücke unter dem Ansturm der Massen geöffnet, die die am Vorabend vom SED-Politbüro verkündete neue Reiseregelung beim Wort nahmen. Der zweite Übergang zwischen Friedrichshain und Kreuzberg wurde erst am 15. April 1990 auf der Schillingbrücke eingerichtet.

Demokratische Volkskammerwahl
Am 18. März 1990 fand die erste und letzte demokratische Volkskammerwahl in der DDR statt. Der Wahlkampf wurde hauptsächlich aus den Mitteln der westdeutschen Parteien bestritten. Der Sieg der »Allianz für Deutschland« mit 48,0%, die von der West-CDU unter dem Kanzler Helmut Kohl unterstützt wurde, zeichnete den Weg zur deutschen Einheit vor.
Die gerade wenige Monate zuvor entmachtete SED, die sich in »Partei des Demokratischen Sozialismus« (PDS) umbenannt hatte, erhielt 16,4% der Stimmen. Diejenigen von den Protagonisten der DDR-Opposition gegründeten Initiativen, die sich nicht einer der in der Bundesrepublik etablierten Parteien anschlossen, erhielten kaum Stimmen und verloren an Bedeutung. Dazu gehörten das »Neue Forum«, der »Unabhängige Frauenverband« (UFV) und die »Vereinigte Linke« (VL), die eine reformierte, demokratische, eigenständige DDR als »Dritten Weg« zwischen Sozialismus und Kapitalismus anstrebten. Im Mai wurde ein Vereinsgesetz erlassen, das den Ostdeutschen erstmalig seit 1945 gestattete, freie Vereine zu gründen. Dies nutzten zahlreiche soziokulturelle Projekte, die aus Haus- und Ladenbesetzungen entstanden waren, z.B. die »Kiezkultur« in der Eldenaer Straße oder die »Fröhlichen Friedrichshainer« in der Schreinerstraße. Die Volkspolizei war sehr zurückhaltend und bemühte sich, bürgernah zu sein. Als das MfS in das »Amt für Nationale Sicherheit« umgewandelt wurde, führten Proteste am 13. Januar 1990 zur Auflösung der verhassten Institution. Ein besonderer Einschnitt in Friedrichshain war die Räumung der Mainzer Straße am 14. November 1990. Politiker, Einwohner und Besetzer, die für eine Verhandlungslösung gerungen hatten, konnten sich nicht durchsetzen. Der Bezirk verlor ein großes Potenzial an jungen, kreativen Menschen, die in andere Bezirke, z.B. Mitte und Prenzlauer Berg, abwanderten.

Industriestandorte
Zahlreiche Menschen aus Osteuropa, die bis Ende 1989 nicht reisen durften, gelangten über den Bahnhof Lichtenberg nach Berlin, um sich als fliegende Händler oder Gelegenheitsarbeiter zu versuchen. Dies rief Ressentiments wach, vor allem gegen Roma aus Rumänien. Nach Einführung der D-Mark brachen für Friedrichshainer Industriestandorte wie Narva, die Vergaser- und Filterwerke oder das Glaswerk Stralau die Märkte ein.
Arbeitslosigkeit, ein für DDR-Bürger unbekanntes Phänomen, wurde zu einem gesellschaftlichen Problem. Nach den Kommunalwahlen am 6. Mai 1990 bekam Friedrichshain mit Helios Mendiburu als Bürgermeister eine SPD-geführte Bezirksverwaltung. Das öffentliche Leben musste trotz des kompletten Umbaus der Verwaltungsstrukturen aufrecht erhalten werden.

Neuordnung
Für die Menschen in Friedrichshain und in der gesamten DDR brachte das Jahr 1990 die größten persönlichen Veränderungen in allen Lebensbereichen. Schule, Ausbildung, Arbeit, Wohnungswesen, öffentliche Verwaltung, Sozialsysteme wurden dem System der Bundesrepublik angepasst. Dies war oft nur mit viel Mut, Phantasie und immenser Anstrengung möglich.

Neue Lebensweisen
Eine Straßenseite der Mainzer Straße, die zwischen 1987 und 1989 entmietet worden war, sollte für Neubauten abgerissen werden. Im Frühjahr 1990 wurden dort zwölf Häuser von jungen Leuten aus Ost und West besetzt. Die »Kommunale Wohnungsverwaltung« (KWV) sicherte zunächst ein zeitweiliges Verbleiben zu und bot Interessenten weitere Wohnungen an.
Die Besetzer begannen die Wohnungen instand zu setzen und lösten durch Um- und Einbauten traditionelle Wohnstrukturen auf. Um die Hausprojekte bildete sich eine rege kulturelle und politische Szene. Es gab verschiedene Kneipen, Spätverkaufsstellen, Veranstaltungs- und Bandproberäume, Kinos und sogenannte »Volxküchen«, in denen warmes Essen ausgegeben wurde. Allerdings stießen die Besetzer und ihr Lebensstil auf Missfallen bei manchen Anwohnern, herbeigeführt durch Unordnung und Lärmbelästigung. Auch wurden die Hausprojekte wiederholt von Neonazi-Gruppen angegriffen. Eine »Bürgerinitiative Mainzer Straße« trat für die Räumung der besetzten Häuser ein. Am 24. Juli 1990 wurde die »Berliner Linie« auf den Ostteil der Stadt übertragen: Ab diesem Tag neu besetzte Häuser sollten geräumt, mit den bis dahin besetzten Häusern verhandelt werden.

Die Räumung der Mainzer Straße
Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 erlangte der West-Berliner Senat politische und polizeiliche Hoheit über Ost-Berlin. Der damalige West-Berliner Polizeipräsident Georg Schertz forderte ein härteres Durchgreifen gegen Hausbesetzer.
Nach der Räumung von Häusern in Lichtenberg, die nach dem Stichtag 24. Juli besetzt worden waren, besetzten Demonstranten die Frankfurter Allee auf Höhe der Mainzer Straße. Die Polizei beseitigte die Barrikaden, fuhr in die Mainzer Straße und schoss mit mit Wasserwerfern wahllos in einzelne Fenster der besetzten Häuser hinein. Schnell wuchs die Zahl auf 500 bis 600 Demonstranten an. Die Polizei ging massiv mit zeitweilig 1 500 Einsatzkräften vor. Weitere Barrikaden wurden errichtet, ein Straßenbahnwagen entgleist deshalb vor der Einfahrt zur Mainzer Straße. Polizeikräfte aus dem gesamten Bundesgebiet wurden nach Berlin geordert. Am Morgen des 14. November wurde das Gebiet der Mainzer Straße weiträumig abgeriegelt. Bemühungen von DDR-Basisgruppen, z.B. vom »Neuen Forum«, und vom Bezirksbürgermeister Mendiburu, eine Verhandlungslösung zu finden, scheiterten. Eine Menschenkette von Bürgerrechtlern an der Einmündung der Mainzer Straße zur Boxhagener Straße versuchte, ein Vorrücken der Polizei zu verhindern, wurde aber von ihr abgedrängt. Bei den Kämpfen um die Räumung wurden zahlreiche Menschen verletzt, 417 Personen festgenommen, darunter auch Abgeordnete. Am späten Nachmittag des 14. November startete eine spontane Demonstration zum Roten Rathaus mit über 10 000 Teilnehmern. Nach der Räumung wurde die Straße gesperrt und auch in den folgenden Monaten von der Polizei bewacht. Nach der Polizeiaktion kündigte die »Alternative Liste« (heute »Bündnis 90/Die Grünen«) aus Protest gegen die Räumung die rot-grüne Koalition mit der SPD. Für die Hausbesetzerszene war die Räumung der Mainzer Straße ein tiefer Einschnitt. In den Folgejahren kam es zu weiteren Räumungen, aber auch zu verschiedenen Legalisierungsmodellen, durch die alternative Lebensentwürfe weiter existieren konnten.

Wohnraumverhältnisse.
Nach dem Fall der Mauer 1989 waren in Ost-Berlin die Eigentumsverhältnisse vieler Gebäude ungeklärt. Während in West-Berlin Wohnraummangel herrschte, standen im Ostteil ganze Straßenzüge leer. Im Dezember 1989 machten Bewohner des Gebäudes Schönhauser Allee 20.in Prenzlauer Berg ihre Besetzung mit Transparenten öffentlich. Infolge dessen kam es zu einer Vielzahl von Besetzungen in den Innenstadtbezirken. Im Sommer 1990 gab es in Ost-Berlin über 100 solcher Projekte.

Politisches Engagement
Silvio Meier wurde 1965 geboren, wuchs in Quedlinburg auf und bewegte sich dort in der alternativen Kulturszene. 1986 zog er nach Berlin-Friedrichshain, fand schnell Kontakt zur hiesigen Szene und begann, sich oppositionell zu engagieren. Wie viele seiner Freunde besetzte er eine Wohnung und suchte sich eine Arbeit, die ihm viel Freizeit ließ. Bald beteiligte er sich an Projekten der »Offenen Arbeit« und kam so im Frühjahr 1987 in der Zeit der Vorbereitung des »Kirchentags von Unten«, einem Zusammenschluss unterschiedlicher Ost-Berliner und DDR-weiter Basisgruppen, mit Menschen zusammen, die seit Jahren politisch gegen das SED-Regime auftraten.
Nach dem Kirchentag blieb er zusammen mit anderen politisch Widerständigen in der »Kirche von Unten« aktiv. Eine der ersten Aktionen war die Teilnahme am »Olof-Palme-Friedensmarsch« gegen ein mit Atomwaffen hoch gerüstetes Europa im September 1987. Seine Ablehnung gegen staatliche Gewalt
zeigte er auch persönlich konsequent, denn er nahm Nachteile bewusst in Kauf, als er zusammen mit Freunden den Wehrdienst total verweigerte. Als Autor und Herausgeber des Info-Blattes »mOAning star« gestaltete er diese Zeitschrift der »Offenen Arbeit« maßgeblich mit, die zu einem beliebten Sprachrohr der politisch und kulturell widerständigen Szenen in der DDR wurde. Er organisierte unter anderem auch das Konzert am 17. Oktober 1987 in der Zionskirche, auf dem die West-Berliner Band »Element of Crime« auftrat. Das Konzert wurde von Ost-Berliner Neonazis überfallen. Danach beteiligte er sich an Bemühungen, den offiziellen Mythos vom antifaschistischen DDR-Staat zu brechen.

21. November 1992
Seit Ende 1988 gehörte Silvio Meier zu den wichtigsten Organisatoren der »Kirche von Unten«. Hierzu gehörten Veranstaltungen der politischen Bildung, Konzerte und Performances sowie der tägliche Besucherbetrieb, bei dem Probleme kommuniziert, Kontakte vermittelt und Netzwerke gesponnen wurden.
Im Mai 1989 organisierte er die Stimmenauszählung der Kommunalwahlen in Friedrichshain mit, gab hierfür ein Extra-Blatt heraus und half somit, den Wahlbetrug der SED aufzudecken. Am 7. Oktober 1989 wurde er bei einer Demonstration in der Nähe des Alexanderplatzes verhaftet, wurde aber wie die anderen Verhafteten aufgrund von Protesten wieder entlassen. Nach dem Ende der SED-Diktatur besetzte er im Dezember 1989 mit Freunden ein leer stehendes Haus in Friedrichshain und engagierte sich mit seinen Erfahrungen auch in der Besetzerszene. Seine Freunde schätzten ihn als freundlichen, kommunikativen und hilfsbereiten, aber auch als sehr streitbaren Menschen. Am Abend des 21. November 1992 wurde er auf dem U-Bahnhof Samariterstraße in eine Auseinandersetzung mit Jugendlichen verwickelt, von denen sich einer als Neonazi bekannte. Als die Gruppe um Silvio den Bahnhof wieder verließ, lauerten die Jugendlichen ihr auf, überfiel sie mit Messern und verletzte drei von ihnen schwer. Silvio Meier erlag seinen Verletzungen,
Silvio Meier
Silvio Meier gehörte zu den Menschen, die in der DDR couragiert gegen staatliche Bevormundung eintraten und die ihr politisches Engagement in der Gemeinschaft mit Freunden zugleich mit Lebensfreude und Spaß verbanden. Damit sowie mit der konsequenten Ablehnung von Machtstrukturen förderten sie eine Kultur der »besonderen Subversivität«, die sich bis heute den klassischen Interpretationen von politischem Widerstand entzieht.

Ziel des staatlichen Erziehungssystems war die Herausbildung von »sozialistischen Persönlichkeiten«. Durch politische Propaganda und gezielte Manipulation wurde das Verhalten des Einzelnen beeinflusst, so dass eine Anpassung auch ohne sichtbaren Zwang erfolgte. Die Einbindung in das Kollektiv stand dabei vor der individuellen Entfaltung und Freiheit.
Mit Beginn des Schulalters wurden die meisten Kinder Mitglied der »Jungen Pioniere«, der politischen Massenorganisation für Schüler bis einschließlich der siebten Klassenstufe. Hier wurde ihnen bei Spiel und Spaß der »richtige« politische Standpunkt vermittelt. Danach folgte die Aufnahme in die »Freie Deutsche Jugend« (FDJ) bzw. in die »Gesellschaft für Sport und Technik«, in der Jugendliche zum Leistungssport und vormilitärisch ausgebildet wurden. Wer sich so anpasste und beispielsweise auch einen längeren Armeedienst ableistete, konnte damit Vorteile erlangen, wie z.B. einen kostengünstigen Führerschein oder den Zugang zur Wunschausbildung bzw. zum Studium. Der Druck, sich auch sozial anzupassen, war sehr groß. Auch im Erwachsenenalter waren Anpassung und Mitgliedschaft in der SED, in den gleichgeschalteten Blockparteien oder in Massenorganisationen für eine Berufskarriere förderlich.

Doppelleben –
Öffentliche Anpassung und privater Rückzug

Wer sich an die Erwartungen hielt, die an eine »sozialistische Persönlichkeit« gestellt wurden, und sich in allen Bereichen des öffentlichen Lebens konform verhielt, führte in der DDR gewöhnlich ein ruhiges Leben in bescheidenem Wohlstand. Viele Menschen zogen sich in private Nischen zurück, gingen ihren Freizeitaktivitäten nach, lebten so ihre Individualität aus und fanden dabei auch ihre Selbstverwirklichung. Die wenigsten wagten den offenen Widerspruch. Dieser wurde in der Regel hart sanktioniert.

Die Konsequenzen von Kritik

Die Folgen von abweichendem Verhalten waren kaum kalkulierbar. Leistung und Engagement waren in der DDR weniger gefragt als Anpassung und Unterwerfung. Schüler, die sich weigerten, in die Massenorganisationen einzutreten, bekamen nicht den gewünschten Studienplatz.
Wer über einen längeren Zeitraum nicht erwerbstätig war, den Wehrdienst verweigerte oder versuchte, ohne Ausreisegenehmigung das Land zu verlassen, wurde mit Haft bestraft. Illegale Fluchtversuche in den Westen endeten oft tödlich. Ein unangepasstes Äußeres konnte selbst dann zu Repressionen führen, wenn damit keine deutlich geäußerte gesellschaftliche Kritik einherging. Das Engagement in kritischen Jugendgruppen, aber auch in der unabhängigen Friedens- und Umweltbewegung, konnte schwerwiegende Folgen haben. Der Einfluss des MfS war sehr groß und erreichte jeden Betrieb, alle Ebenen der öffentlichen Verwaltung, das kulturelle Leben, Massenorganisationen, Schulen und Universitäten. Das MfS machte auch vor den Wohnungen von Verdächtigen nicht halt. Wehren konnten sich die Betroffenen nicht. Es existierte keine Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Entscheidungen von staatlichen Stellen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfte.

Von der Drohung bis zur Inhaftierung
Die Repressionen gegenüber Widerständigen reichten von Drohungen, Ermahnungen oder Verboten, sich an bestimmten Plätzen und in bestimmten Regionen der DDR aufzuhalten, bis hin zu vielfältigen Benachteiligungen im Berufsleben und Inhaftierung, zum Teil aufgrund absurder Gerichtsurteile der politischen Justiz. Für die Betroffenen wahrnehmbare Bespitzelung und Psychoterror waren besonders perfide Methoden, um Widerständige zu zermürben.

Erhöhter Zwang zur Anpassung

Besonders berüchtigt für sein starres, ungerechtes Überwachungs- und Strafsystem war der »Geschlossene Jugendwerkhof Torgau«, errichtet 1964 durch das Ministerium für Volksbildung als Disziplinareinrichtung für Jugendliche von 14 – 20 Jahren.
Hier blieben die Jugendlichen maximal sechs Monate, in anderen Einrichtungen teils länger. Unterordnung und militärischer Drill bestimmten den Alltag. Jugendliche drangsalierten sich gegenseitig und spielten sich gegeneinander aus. Nicht selten verprügelte die Gruppe einen »Schuldigen«, während die Wärter wegschauten. Aus geringsten Anlässen wurde Arrest verhängt, oft in Zusammenhang mit Essensentzug. Es kam zu zahlreichen Selbstmorden. Auch in »normalen« Kinder- und Jugendheimen, in denen sich auch Kinder geflohener oder inhaftierter Eltern befanden, bestimmte ein strenges Regelsystem den Alltag und der Tagesablauf war straff durchorganisiert. In Friedrichshain wurde auf der Halbinsel Stralau ein Durchgangsheim geführt, in dem Kinder und Jugendliche vor ihrer dauerhaften Unterbringung in einem Heim oder Jugendwerkhof Station machten.

Jugendwerkhöfe als Druckmittel
Zwei Drittel der staatlichen Kinder- und Jugendheime in der DDR waren sogenannte Normalkinderheime für Kinder und Jugendliche zwischen 3 und 18 Jahren, das restliche Drittel bestand aus Jugendwerkhöfen. Straffällige, mitunter auch lediglich aufsässige und auffällige Jugendliche aus subkulturellen Milieus, wurden direkt in einen Jugendwerkhof eingewiesen. Auch allen anderen politisch gegen dem offiziellen SED-Kurs aktiven Jugendlichen drohte dies bei entsprechenden Vermerken durch die Behörden.

Besetzung des Neuen Stadthauses durch die SED
Bereits am 25. April 1945 trafen sich im Lokal »Schreinerhof« ehemalige Mitglieder der kommunistischen Partei und anderer antifaschistischer Organisationen zu Beratungen über einen Neubeginn. Anfang Mai bestätigte der Friedrichshainer Stadtkommandant eine Bezirksverwaltung mit Paul Lipke (parteilos, später SPD) als Bürgermeister.
Die meisten Stadträte gehörten der KPD an. Zur gleichen Zeit begann sich der Alltag langsam zu normalisieren: Es gab wieder Strom und Lebensmittelkarten. Viele Flüchtlinge aus den Ostgebieten erhielten Betreuung und medizinische Versorgung. 1946 schlossen sich KPD und Teile der SPD zu einer »Partei neuen Typs« nach den Vorstellungen Stalins zusammen, der »Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands« (SED). Bei der nächsten Wahl zur Berliner Stadtverordnetenversammlung erzielte die SED nur 19,8 % der Stimmen. In der Folgezeit kam es immer wieder zu Störungen der Sitzungen im »Neuen Stadthaus« durch SED-Anhänger. Als diese es 1948 besetzten, zogen sich die nichtkommunistischen Stadtverordneten nach West-Berlin zurück und bildeten ein zweites Parlament.

Versorgungsschwierigkeiten während des Wiederaufbaus
Die administrative Spaltung der Stadt war damit vollzogen. Bald darauf wurde die DDR gegründet, das Parteiensystem weiter vereinheitlicht und die Währungsreform in Kraft gesetzt. In der DDR galt die schwache Ostmark, im Westteil die sich stetig stabilisierende Westmark. Dies führte zu starken Unterschieden in den Lebensbedingungen: Im Westteil brachte das »Wirtschaftswunder« Produktvielfalt und materiellen Wohlstand, an dem zunächst eine Großzahl der Bevölkerung teilhaben konnte. Im Ostteil war die Situation von Versorgungsschwierigkeiten bei den Grundbedürfnissen gekennzeichnet. Friedrichshain entwickelte sich dennoch zu einem wichtigen Standort großer DDR-Betriebe wie dem Glühlampenwerk Narva, der Knorrbremse und Gaselan. Zudem kam dem Stadtbezirk ein Symbolcharakter beim Wiederaufbau der Stadt zu, da die stark zerstörte Frankfurter Allee vollständig abgetragen und die Stalinallee als erste »sozialistische Straße« im »Nationalen Aufbauwerk der DDR« errichtet wurde.

Ende des II. Weltkriegs
Friedrichshain war durch die heftigen Luftangriffe und Kampfhandlungen stark zerstört. Die Rote Armee rückte im April 1945 durch die Frankfurter Allee vor. Nach Kriegsende wurde Berlin offiziell in einen amerikanischen, englischen, französischen und sowjetischen Sektor unterteilt und Friedrichshain der sowjetischen Besatzungsmacht zugeordnet. Der Wiederaufbau konnte beginnen und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) wurde am 7. Oktober 1949 als zweiter deutscher Staat gegründet.

MfS beobachtet Falken mit Misstrauen
Der sowjetische Geheimdienst startete bereits im April 1946 eine Verhaftungswelle gegen Kritiker der Zwangsvereinigung von SPD und KPD im Osten Berlins. Davon betroffen waren auch Willi Beiersdorf, Dieter Medenwald und Hans Leuendorf, drei Falken aus Prenzlauer Berg.
Medenwald und Leuendorf starben 1947/48 im sowjetischen Speziallager Bautzen, Beiersdorf wurde 1954 aus der Haft entlassen. Die Falken stellten aufgrund des hohen Drucks im Ostsektor ihre aktive Arbeit ein, hatten hier aber weiterhin Mitglieder. Bis Februar 1949 stieg in Berlin die Mitgliederzahl auf ca. 7 000. Ein Großteil der Jugendverbände begann unterdessen, von der FDJ Abstand zu nehmen, unter anderem, weil der Berliner FDJ-Vorsitzende Heinz Keßler (der spätere Chef der DDR-Armee NVA) an den Störungen der Stadtverordnetenversammlung beteiligt war. Ende Januar 1948 traten die letzten Vertreter der CDU und der LDPD aus dem Zentralrat der FDJ mit der Begründung aus, dass die FDJ unter dem Einfluss von SED-Mitgliedern eine einseitige Politik betreibe. Nach dem Mauerbau am 13. August 1961 entschlossen sich die Falken, ihre Ost-Berliner Kreisverbände ganz aufzulösen, um deren Mitglieder nicht zu gefährden. Die Ost-Berliner Falken trafen sich jedoch weiter in privaten Kreisen und wurden vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) beobachtet und verfolgt.

Jugendverbände geraten unter Druck
Als im Juni 1945 alle antifaschistischen Parteien wieder zugelassen wurden, gründeten sich auch
Gewerkschaften und überparteiliche Jugendverbände neu. In den Ostsektoren wurde ab 1946 die Freie Deutsche Jugend (FDJ) aktiv, zeitgleich organisierten sich die SPD-nahen Falken neu. Später behandelte das SED-Regime die SPD und die Falken in Ost-Berlin als gegnerische Organisationen. Ca. 60 Mitglieder und Freunde der Falken wurden zu Haftstrafen verurteilt. Die FDJ dagegen wurde als einzige staatlich anerkannte Jugendorganisation in der DDR gefördert.

Der Aufstand am 17. Juni 1953
Unter SED-Chef Walter Ulbricht beschloss der Ministerrat im Mai 1953 eine weitere Erhöhung der Arbeitsnormen. Angesichts aufkeimender Proteste kündigte das Zentralkomitee der SED dann aber einen »Neuen Kurs« an, laut dem Steuer- und Preiserhöhungen sowie Beschlagnahmungen rückgängig gemacht und Verhaftungen und Verurteilungen überprüft werden sollten. An den geltenden Normerhöhungen änderte sich jedoch nichts.
Die Bevölkerung reagierte mit landesweiten Arbeitsniederlegungen. Am 16. Juni 1953 streikten auch die Arbeiter auf den Großbaustellen Berliner Stalinallee und Krankenhaus Friedrichshain. Die Bauarbeiter versammelten sich am Strausberger Platz. Unter diesem Druck zog das Politbüro die Normerhöhung zurück, konnte aber nicht mehr den landesweiten Aufstand hunderttausende Arbeiter am 17. Juni verhindern, der sich nun generell gegen das SED-Regime wandte. In Berlin und ca. 700 anderen Orten in der DDR wurde der Ausnahmezustand erklärt. Mit Unterstützung sowjetischer Panzerverbände wurde der Volksaufstand niedergeschlagen. Das SED-Regime ging mit sowjetischer Unterstützung zwar als Sieger aus der Krise hervor, verlor aber das Vertrauen großer Teile der Bevölkerung. Für diese blieb der 17. Juni 1953 ein traumatisches Ereignis. Bis 1989 gab es in der DDR keine Massenproteste mehr.

Einseitige Wirtschaftspolitik
Der »planmäßige Aufbau des Sozialismus« setzte seit 1952 wirtschaftspolitisch vorrangig auf den Ausbau der Schwerindustrie. Die Vernachlässigung anderer Bereiche sorgte für Lebensmittelknappheit und Stromabschaltungen. Abwanderung in den Westen und eine hohe Zahl politisch Inhaftierter schwächten einerseits die wirtschaftliche Basis und andererseits den Rückhalt der Regierung in der Bevölkerung. Ein Ergebnis von politischer Unterdrückung und verfehlter Wirtschaftspolitik war der Volksaufstand vom 17. Juni 1953.

Horst Bernhagen
Horst Bernhagen wurde am 16. März 1932 geboren und wohnte mit seiner Mutter in der Jessnerstraße. Er arbeitete als Fernmeldemonteur beim Berliner Rundfunk in Ost-Berlin. Am 17. Juni 1953 ging auch er nicht zur Arbeit, sondern traf sich mit Kollegen auf dem Potsdamer Platz. Einer seiner Arbeitskollegen berichtete, dass sie sich im strömenden Regen aus den Augen verloren hätten. Unter ungeklärten Umständen wurde Bernhagen ca. 12.40 Uhr von einer Kugel getroffen und mit einem Kopfschuss in das West-Berliner Elisabeth-Krankenhaus eingeliefert.
Die West-Berliner Zeitung »Telegraf« berichtete am 18. Juni aus dem zum Lazarett umfunktionierten grenznahen Elisabeth-Krankenhaus, in welches insgesamt 60 Verletzte aus dem Ostteil der Stadt mit überwiegend Schuss- und Schlagwunden sowie Prellungen eingeliefert worden waren: »Polizisten und Schwestern laden in fliegender Hast die Verwundeten mit Bahren aus den Krankenwagen. Es sieht sehr ernst aus und sehr geschäftig in den Räumen des sonst so ruhigen Krankenhauses. […] In der Zentrale, in der eine Schwester das Telefon bedient, liegt der Ausweis des 21-Jährigen aus Berlin-Friedrichshain, mit Wohnsitz in der Jessnerstraße. Er ist seinen Verletzungen erlegen. « Horst Bernhagens Mutter erfuhr erst von einem Nachbarn, dass der Radiosender »RIAS« den Tod ihres Sohnes gemeldet habe.

Verfolgungen nach dem Aufstand
Der 17. Juni 1953 forderte 55 Menschenleben. Einige der festgenommenen Demonstranten wurden unmittelbar nach dem Aufstand von sowjetischen Streitkräften standrechtlich erschossen, andere später zum Tode verurteilt. Über 1500 Menschen wurden teilweise zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Ein bewegtes Leben zwischen Ost und West. Wolfgang Harich wurde am 9. Dezember 1923 in Königsberg geboren und starb am 15. März 1995 in seiner Wohnung in Berlin-Friedrichshain.
Während der NS-Zeit desertierte er im Alter von 21 Jahren und schloss sich der kommunistischen »Widerstandsgruppe Ernst« an. 1945 trat er der KPD bei. An der Humboldt-Universität studierte er Philosophie und Literatur, promovierte und arbeitete als Literaturkritiker und Cheflektor des »Aufbau-Verlags«. Darüber hinaus hielt er an der Humboldt-Universität Vorlesungen über Geschichtstheorie nach Karl Marx und gründete mit Ernst Bloch die »Deutsche Zeitschrift für Philosophie«. Als er seine regimekritische Schrift »Plattform über den besonderen deutschen Weg zum Sozialismus« dem sowjetischen Botschafter Puschkin vorstellte, informierte dieser Ulbricht. Im November 1956 erfolgte Harichs Festnahme, 1957 die Verurteilung wegen »Bildung einer konspirativen, staatsfeindlichen Gruppe« zu zehn Jahren Gefängnis. Unter dem Druck der Untersuchungshaft bezog Harich eine bereuende Haltung. Aufgrund einer Amnestie wurde er 1964 aus der Haft entlassen und arbeitete anschließend als freischaffender Wissenschaftler, Journalist, Lektor und Autor. 1979 reiste er aus der DDR aus, engagierte sich für Friedens- und Umweltgruppen und kehrte 1981 wieder in die DDR zurück. Dort rehabilitierte ihn 1990 das Oberste Gericht der DDR von den Anklagepunkten des Jahres 1957.

Mut zur offenen Kritik
Der promovierte Philosoph und Literaturwissenschaftler Wolfgang Harich war bekennender Marxist und sah die SED-Regierungspraxis kritisch. Er setzte sich für einen menschlichen Sozialismus als »Dritten Weg« zwischen Kapitalismus und Bürokratismus in der DDR ein. 1956 verfasste er die »Plattform über den besonderen deutschen Weg zum Sozialismus«. Darin forderte er die Ablösung Walter Ulbrichts als Parteichef, freie Wahlen, Meinungsfreiheit, Souveränität der DDR, Wirtschaftsreformen und ein wiedervereinigtes, neutrales Deutschland.

In einer sogenannten Horte, gruppierten sich immer um 12 Jungen unterschiedlichen Alters um einen älteren, Scheich genannten Leiter. Wurde ein Scheich zu alt oder tauchte ins Berufsleben ein, wurde der nächste gewählt. Es gab zumindest fünf aufeinander folgende Gruppen. Jeder bekam einen Spitznamen, auch die Scheichs: Graf, Kali, Junior, Robby, Spinne und Onkel Willy.
Diese Traditionskette riss erst gegen 1968 ab. Die Pfarrer der Gemeinden wussten um die Gruppen und ließen sie autonom gewähren. Es gab keine finanzielle Unterstützung. Ihre Vorbilder waren die Weiße Rose, Hans und Sophie Scholl aber auch Eberhard Köbel, eine unter dem Namen Tusk bekannter charismatischer Mann der linken Jugendbewegung in der späten Weimarer Republik. Von ihm distanzierte man sich aber, nachdem seine Versuche zur Kenntnis genommen wurden, sich nach 1945 als linientreuer Kommunist zu stilisieren. Einmal im Monat machten die Jungen Ausflüge in Wälder und zelteten dort mit der Kothe, einem Zelt, das dem der lappländischen Nomaden nachgebildet war. Dabei wanderten sie zwischen 15-30 Kilometer mit Gepäck: Gitarre, Essen, Zeltbahnen und Hordenpott – ein Kochkessel. Sie unternahmen auch „Großfahrten“ bei denen Strecken von mehr als 100 Kilometern zurückgelegt wurden: nach Thüringen, in die Sächsische Schweiz, in den Harz, auch in westliche Gegenden, bis der Mauerbau den Aktionskreis der Jungen eingrenzte.

Staatlichen Angebote wie FDJ, Jugendweihe und Junge Pioniere lehnten die meisten als unerträglich, langweilig und gleichgeschaltet ab. Gelesen wurden Bücher wie „Die Weiße Rose“ oder das „Tagebuch der Anne Frank“ – aber auch die Bibel. Es wurde viel gesungen: wenige geistliche Lieder, einige hebräische, Shanties, Spirituals, russische Lieder, Lieder deutscher kritischer Dichter, Landsknechtslieder, aber auch Lieder aus dem Bauernkrieg. Alle versuchten, Gitarre zu lernen. Sie selbst sahen sich kritisch gegenüber kleinbürgerlichen Lebens- und Umgangsformen eingestellt: „Wir sind doch keine Spießer!“.Über diese Gruppenstruktur lernten sie bereits im Alter zwischen 13 und 15 Jahren zu artikulieren, einen eigenen Standpunkt zu vertreten, Diskussion zu führen und waren bald auch in der Lage, Verantwortung zu übernehmen. Einige von ihnen, wie der spätere Pfarrer Rudi Karl Pahnke alias Robby bzw. Reuwen haben später Verantwortung übernommen und an der Umgestaltung der DDR zu einer demokratischen Gesellschaft mitgewirkt.

Seit 1954 trafen sie sich in einer Baracke auf dem Hinterhof des Samariterhauses in der Samariterstraße 27 und ab 1961 in einem selbst gestalteten kleinen Keller des Galiläa Gemeindehauses christliche Pfadfindergruppen.

Polizeigewalt bei Demos gegen das Beat-Verbot

Am 7. Oktober 1965, dem Jahrestag der Gründung der DDR, protestierten hunderte Jugendliche auf der Karl-Marx-Allee und dem Strausberger Platz gegen das Auftrittsverbot von Beat-Gruppen in der Deutschen Sporthalle.
DDR-Sicherheitskräfte befürchteten Ausschreitungen der Jugendlichen. Als diese anfingen, provokative Sprüche und politische Parolen laut auszurufen, löste die Polizei die Demonstration mit Gewalt auf. Noch härter griffen die Sicherheitskräfte einige Wochen später in Leipzig durch. Dort hatten sich hunderte von Jugendlichen am 31. Oktober 1965 versammelt, um gegen das Verbot von zahlreichen Beat-Gruppen zu protestieren. Dutzende wurden verhaftet, geschlagen und für Wochen zur Zwangsarbeit in die Braunkohle-Reviere geschickt. Als am 7. Oktober 1966 erneut Jugendliche in Berlin auf der Karl-Marx-Allee gegen das Beat-Verbot protestieren wollten, griff die Polizei schnell durch, schleppte zahlreiche Jugendliche auf die Polizeireviere, schikanierte und prügelte sie dort.

Die Verordnung 11/66
Der Stasi-Chef Erich Mielke ging am 7. Oktober 1966 persönlich mit Volkspolizisten gewalttätig gegen die Jugendlichen vor und erließ wenig später die Verordnung 11/66, die auf die Verfolgung kritischer Jugendlicher ausgerichtet war. Sie wurde bis 1989 angewandt. Dies verhinderte aber nicht, dass sich sogar Kinder von Staatsfunktionären oder junge FDJ-Leiter die Haare lang wachsen ließen und über neue Gesellschaftsmodelle diskutierten. Nach der Machtübernahme von Erich Honecker 1971 ging die SED pragmatischer vor: Es sei nicht wichtig, was auf den Köpfen, sondern was in ihnen sei. Dahinter verbarg sich keine Toleranz, sondern eine Kapitulation vor den Tatsachen. Bis zum Ende der DDR waren schulterlange Haare, Bärte, Parkas, Jeans und Ketten immer noch Signale Jugendlicher, die »anders« sein wollten. Ab Anfang der 1980er Jahre entwickelten sich Jugendgruppen in verschiedene Richtungen: Punks, Skins, Heavy Metals, Grufties, Popper, Teds. Am radikalsten brachten die Punks ihre Ablehnung des Staates und seiner Normen und Werte zum Ausdruck.

Die Beatrebellion erfasst die DDR
In den 1960ern entstand die legendäre Beat-Szene, deren Musik von elektrischem Gitarrensound und schnellen Rhythmen geprägt war. Inspiriert von The Beatles, The Rolling Stones und The Kinks versuchten auch in der DDR jugendliche Beat-Fans, das Provokative und Schräge nachzuleben. Aber ohne vorherige Spielerlaubnis durfte keine Band auftreten. Bei Veranstaltungen durften nur 40 % der Titel aus dem Westen kommen. 1965 begann die SED, massiv gegen Beat-Fans vorzugehen.

Die Kommune 1 Ost und der »Prager Frühling«
Mitte 1969 wurde in der Samariterstraße 26 durch einen Wohnungstausch die »Kommune 1 Ost« gegründet. Ihre Mitglieder waren stark vom »Prager Frühling« geprägt. Sie hofften auf einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«, wie er 1968 in der tschechischen Hauptstadt Realität zu werden schien.
Der Einmarsch der Truppen des »Warschauer Vertrags« unter sowjetischer Führung am 21. August 1968 beendete diese Träume abrupt. Die Idee der Kommunarden war, dennoch weiterzumachen und als Teil der 1968er Protestbewegung nach neuen Möglichkeiten des Zusammenlebens zu suchen. Die Kommune erreichte jedoch längst nicht den Stellenwert der »Kommune 1« im Westen, denn jede demonstrative Handlung wäre vom Staat als Provokation aufgefasst und mit Strafe belegt worden. Bald wurde die Kommune vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) überwacht. Nach einem Umzug durch einen Ringtausch in die Gartenstraße nach Mitte nutzte das MfS im August 1970 die Gelegenheit und löste die Kommune auf, da für den Wohnungstausch die Zustimmung der Wohnungsverwaltung gefehlt hatte.

»Der Frühling 1968 war – Verliebtheiten und andere aufregende Dinge gab es gleichzeitig auch – noch wunderbar. Die Angstfreiheit bei den Diskussionen im Prager Stadtzentrum, das Ende der Phrasen in den Medien, die Explosion der schöpferischen Kräfte in der Kultur war überall spürbar – in den Theatern, auf der Karlsbrücke oder bei irgendwelchen Rockkonzerten. Das alles werde ich nie vergessen. […] Die Eindrücke aus diesen acht Monaten hielten mich dann noch sehr lange gefangen – so dass ich vielleicht erst zehn Jahre später rigoros und endgültig über das politische Experiment von damals urteilen konnte. Die Erinnerung an das Gefühl, was eine angstfreie, offene Gesellschaft sein kann, blieb in mir aber ganz wach.«
Jan Faktor, Schriftsteller, 1951 in Prag geboren

Suche nach Freiräumen
Friedrichshain war an vielen Stellen wegen seiner heruntergekommenen Bausubstanz und der proletarischen Milieus nicht als Vorzeigeobjekt sozialistischer Lebensweisen tauglich. Deshalb blieb das staatliche Interesse an diesen Gegenden eher gering, und so konnten hier Jugendliche eher alternative Lebensstile ausprobieren als an anderen Orten. Von jungen Leuten wurde dies für Versuche genutzt, neue Wege zu gehen und aus vorgegebenen Lebensläufen auszubrechen.

Missverständnis verursacht Gewalt
Am 7. Oktober 1977, dem 28. Jahrestag der DDR, stürzten bei einem Rockkonzert in der Nähe des
Fernsehturms einige Fans in einen Lüftungsschacht und verletzten sich schwer. Der Polizei gelang es nicht, dieses Problem den jugendlichen Fans zu erklären. Sie versuchte, mit Gewalt eine Schneise für die Krankenwagen durch die Besuchermenge zu schlagen. Die Stimmung kippte um, es kam zu straßenschlachtähnlichen Szenen. Schaufensterscheiben gingen zu Bruch, Gehwegplatten wurden herausgerissen.
Die Bilanz waren 83 Verletzte, darunter auch Polizisten. 468 Jugendliche, meist zwischen 15 und 19 Jahren, wurden festgenommen, darunter 14 aus Friedrichshain. Viele der Jugendlichen wurden in die
Auseinandersetzungen hineingezogen, ohne dass sie dies beabsichtigt hatten. Ein Zeitzeuge erinnert sich an seine Behandlung im VP-Revier: »Dann sind sie durch und haben dir die Beine weg geklopft und wieder so lange geprügelt, bis du gestanden hast. Ich sah schlimm aus, Blutergüsse, überall Striemen auf dem Rücken, also im Grunde auf dem ganzen Körper.« Daraufhin wurden in der Umgebung des Alexanderplatzes keine Großkonzerte mehr veranstaltet.

Aufgestaute Wut
Das Aufbegehren von Jugendlichen war oft eine spontane Gegenreaktion auf die Ungerechtigkeit und die Willkür staatlicher Interventionen wie bei der Randale auf dem Alexanderplatz am 7. Oktober 1977. Die schnelle Eskalation der Ereignisse sorgte für eine hohe Aufmerksamkeit in den internationalen Medien, auch weil die SED-Presseaufsicht vehement versuchte, die Berichterstattung zu behindern.

Die BOX
1971 gründeten einige Absolventen der Technischen Hochschule Ilmenau mit ihren Freunden aus Friedrichshain einen »Klub der Werktätigen« in der Grünberger Straße, der – vom Boxhagener Platz inspiriert – »Die BOX« genannt wurde.
Am Anfang war es durch Fürsprecher in den Ämtern möglich, Lesungen, Diskussions- und Filmabende, Ausstellungen und Jazz-Diskotheken selbstbestimmt zu veranstalten. Schon bald aber wurden die staatlichen Kontrollen verstärkt. Insbesondere Diskussionsrunden über betriebliche Selbstverwaltungsprojekte
aus Jugoslawien schürten das staatliche Misstrauen. Nach dem Besuch des westdeutschen Discjockeys Lord Knuds und seiner anschließend im »RIAS« gesendeten Empfehlung für »Die BOX« musste der Klub 1976 geschlossen werden. Aufgrund eines Beschwerdeschreibens an den Kulturminister erhielten die Klubbetreiber die Genehmigung, einen anderen Klub zu eröffnen, den »Bödiker-Klub« in der Bödikerstraße. Doch wegen erneuten Drucks von oben gaben die Organisatoren wenig später auf, und auch dieser Klub musste schließen.

Wohnungsbesetzungen
Miethäuser wurden als Volkseigentum von der staatlichen »Kommunalen Wohnungsverwaltung« (KWV) betreut. Viele bekamen oft erst nach jahrelangem Warten eine Wohnung zugeteilt. Aufgrund von Fehlern in der Bürokratie und des zunehmenden Häuserverfalls kam es zu Leerständen in Altbauhäusern. Junge Leute nutzten dies, um sich eigenen Wohnraum zu erobern.
Dabei spielten sie die einzelnen Instanzen gegeneinander aus. In Friedrichshain wurden auf diese Weise dutzende Wohnungen besetzt und später legalisiert. In der ab 1986 fast vollständig besetzten Simon-Dach-Straße 11 fanden Hoffeste statt, teils durch staatliche Fördermaßnahmen mitfinanziert, die Kultstatus erreichten. 1989 rächten sich die Sicherheitskräfte mit einem brutalen Polizeieinsatz. Die Geschädigten beschwerten sich, veröffentlichten ein Protokoll und setzten ein Ermittlungsverfahren in Gang. Die verantwortlichen Sicherheitskräfte mussten sich daraufhin entschuldigen und einige Volkspolizisten wurden degradiert.

Der Wille zur Selbstbestimmung
Immer wieder versuchten Jugendliche und junge Erwachsene, neue soziokulturelle Projekte innerhalb und außerhalb des Erlaubten zu entwickeln, um auf diese Weise Orte zu finden, in denen eigene Wünsche und Bedürfnisse verwirklicht und Meinungen ausgetauscht werden konnten. Teils wurde dies kurzfristig toleriert, meist kam es aber wenig später zu Schließungen.

Die BOX
1971 gründeten einige Absolventen der Technischen Hochschule Ilmenau mit ihren Freunden aus Friedrichshain einen »Klub der Werktätigen« in der Grünberger Straße, der – vom Boxhagener Platz inspiriert – »Die BOX« genannt wurde.
Am Anfang war es durch Fürsprecher in den Ämtern möglich, Lesungen, Diskussions- und Filmabende, Ausstellungen und Jazz-Diskotheken selbstbestimmt zu veranstalten. Schon bald aber wurden die staatlichen Kontrollen verstärkt. Insbesondere Diskussionsrunden über betriebliche Selbstverwaltungsprojekte
aus Jugoslawien schürten das staatliche Misstrauen. Nach dem Besuch des westdeutschen Discjockeys Lord Knuds und seiner anschließend im »RIAS« gesendeten Empfehlung für »Die BOX« musste der Klub 1976 geschlossen werden. Aufgrund eines Beschwerdeschreibens an den Kulturminister erhielten die Klubbetreiber die Genehmigung, einen anderen Klub zu eröffnen, den »Bödiker-Klub« in der Bödikerstraße. Doch wegen erneuten Drucks von oben gaben die Organisatoren wenig später auf, und auch dieser Klub musste schließen.

Wohnungsbesetzungen
Miethäuser wurden als Volkseigentum von der staatlichen »Kommunalen Wohnungsverwaltung« (KWV) betreut. Viele bekamen oft erst nach jahrelangem Warten eine Wohnung zugeteilt. Aufgrund von Fehlern in der Bürokratie und des zunehmenden Häuserverfalls kam es zu Leerständen in Altbauhäusern. Junge Leute nutzten dies, um sich eigenen Wohnraum zu erobern.
Dabei spielten sie die einzelnen Instanzen gegeneinander aus. In Friedrichshain wurden auf diese Weise dutzende Wohnungen besetzt und später legalisiert. In der ab 1986 fast vollständig besetzten Simon-Dach-Straße 11 fanden Hoffeste statt, teils durch staatliche Fördermaßnahmen mitfinanziert, die Kultstatus erreichten. 1989 rächten sich die Sicherheitskräfte mit einem brutalen Polizeieinsatz. Die Geschädigten beschwerten sich, veröffentlichten ein Protokoll und setzten ein Ermittlungsverfahren in Gang. Die verantwortlichen Sicherheitskräfte mussten sich daraufhin entschuldigen und einige Volkspolizisten wurden degradiert.

Der Wille zur Selbstbestimmung
Immer wieder versuchten Jugendliche und junge Erwachsene, neue soziokulturelle Projekte innerhalb und außerhalb des Erlaubten zu entwickeln, um auf diese Weise Orte zu finden, in denen eigene Wünsche und Bedürfnisse verwirklicht und Meinungen ausgetauscht werden konnten. Teils wurde dies kurzfristig toleriert, meist kam es aber wenig später zu Schließungen.

Geld- und Haftstrafen für Tunnelmaler
Am 26. November 1983 trafen sich 20 Jugendliche, um den renovierungsbedürftigen Storkower Tunnel mit Farbe neu zu gestalten. Die mehrere hundert Meter lange Fußgängerbrücke überspannte den ehemaligen Schlachthof an der Eldenaer Straße zum S-Bahnhof Storkower Straße.
Um keinen offensichtlichen Grund für Strafverfolgungsmaßnahmen zu liefern, wählten die Jugendlichen, von denen sich einige auch bei den Jugendabenden in der Galiläa-Kirche trafen, neutrale Zeichnungen wie Blumen, Tiere und ähnliche Darstellungen. Aufgrund von Observationen war das MfS jedoch über die Aktion informiert. Sicherheitskräfte überraschten und stellten die malenden Jugendlichen. Von den 20 Verhafteten wurden 14 nach 48 Stunden wieder freigelassen und Anfang 1984 zu Geldstrafen in Höhe von 800 bis 1 600 Mark verurteilt sowie zu je 396 Mark für die Überstreichung der Tunnelwände. Sechs blieben als angebliche Anstifter und Initiatoren bis Frühjahr 1984 in Untersuchungshaft und wurden zu je sieben Monaten Haft verurteilt. Es kam zu einer Solidarisierungsbewegung unter Jugendlichen in der gesamten DDR, in der auch Geld für die Strafschuldentilgung gesammelt wurde. Gegen die eindeutig politischen Urteile wurde nach der Wiedervereinigung ein Rehabilitationsverfahren angestrebt. Die Klage wurde jedoch mit der Begründung abgewiesen, dass ungenehmigte Graffitis auch in der Bundesrepublik unter Strafe stünden.

Kunst als Ausdrucksmittel
Kritik äußerten Jugendliche in vielfältiger Weise. In den 1980er Jahren wurden hierzu verstärkt Aktionsformen genutzt, die sich direkt auf die Missstände im Staat bezogen und mit künstlerischen Ausdrucksmitteln Alternativen aufzeigten. Der Unmut über die gegenwärtigen Verhältnisse fand so Eingang in die bildnerische Kunst und das Theater. Auch unerlaubte Schreib- und Kunstprodukte wurden durch Mail-Art und Selbstverlage vervielfältigt und verbreitet.

Subkultur und Opposition in der Kirche
Kirchen waren die einzigen Großorganisationen, die sich während der 40 Jahre DDR institutionell und verwaltungstechnisch relativ eigenständig gegenüber dem Staat entwickeln konnten. Oppositionellen und Jugendlichen aus subkulturellen Milieus war es deshalb möglich, insbesondere innerhalb der Gemeindearbeit evangelischer Kirchen ein vom Staat unabhängiges Dach zu finden. Doch nur mit Unterstützung engagierter Pfarrer, Diakone und Laien entwickelten sich hier Schutzräume für Andersdenkende.

Kirche zwischen Konformität und Erneuerung
Es gab jedoch auch Kirchenfunktionäre, die dem Willen des SED-Regimes in der Absicht entgegenkamen, die institutionelle Unabhängigkeit der Kirche durch weitgehende Zugeständnisse an staatliche Vorgaben zu wahren.
Zudem waren die Hierarchiestufen der Kirche mit »Inoffiziellen Mitarbeitern« (IM) der Staatssicherheit durchsetzt. Insgesamt war die Zahl der Kirchenmitglieder stark rückläufig und sank während der Zeit des DDR-Regimes von 80% der Bevölkerung auf 30%. Dies wiederum ließ die Bereitschaft eines Teils der Kirche, sich neuen Gruppierungen zu öffnen, steigen. In Friedrichshain öffneten vor allem die Samariter-, Pfingst-, Auferstehungs-, Andreas-Markus- und die Galiläagemeinde ihre Türen zeitweilig für Treffen und Veranstaltungen, die über das gewöhnliche Kirchenleben hinaus gingen. Oppositionelle Aktivitäten fanden in Frauen-, Friedens- und Umweltkreisen statt, aber auch in den verschiedenen Formen der Jugendarbeit. Wie die »Offene Arbeit« grenzte sich der »Kirchentag von Unten« bewusst von den Loyalisten der Kirche ab.

Ein Refugium im Turm – Punks in der Pfingstgemeinde
In der Turmwohnung der Pfingstgemeinde gab es seit 1978 einen Zufluchtsort für Jugendliche, die von ihren Treffs auf öffentlichen Plätzen von der Polizei vertrieben wurden. 1980 entdeckten jugendliche Punks hier einen Fluchtort vor staatlichen Repressalien.
Ihr Protest richtete sich gegen staatliche Normierung, Unterordnung und Überwachung. Ein Großteil der Bevölkerung war sich in seiner Ablehnung gegen die Punks mit der Polizei einig. Auseinandersetzungen gehörten zur Tagesordnung. Auch viele Mitglieder der Pfingstgemeinde fühlten sich durch die unkonventionelle, oft schwierige Jugendarbeit gestört und forderten die Schließung des Punk-Treffs. Die Kirchenleitung stellte sich zunächst dagegen, doch im März 1983 ließ die Gemeinde die Räume durch einen Schornsteinfeger baupolizeilich sperren. Auch die Wohnung des Jugenddiakons Lorenz Postler am Petersburger Platz, die zu einem neuen Treff avancierte, wurde bald darauf gesperrt.

Der Offene Brief zum Jahr der Jugend 1985
Zum UNO-Jahr der Jugend verfassten im Januar 1985 drei Mitarbeiter des Samariter-Friedenskreises und der Vorbereitungsrunde der Blues-Messen einen Offenen Brief an die SED-Leitung. Darin forderten sie die Abschaffung von Bildungsprivilegien für Menschen, die gegenüber dem Staat Wohlverhalten zeigten, die Abschaffung des Armeedienstes, Meinungsfreiheit, freien Zugang zu Informationen sowie die Abschaffung der Reisebeschränkungen.
Pfarrer Rainer Eppelmann wurde vom damaligen Konsistorialpräsidenten Manfred Stolpe angewiesen, die hierfür geplante Unterschriftensammlung zu unterbinden, worauf diese nach 26 Unterschriften gestoppt wurde. Den Initiatoren drohten Verhaftung und Ermittlungsverfahren, weil die »Frankfurter Rundschau« ein Exemplar des Briefes abgedruckt hatte. Weil das MfS daraufhin »Hetz- und Verleumdungskampagnen« in der Westpresse fürchtete, fiel die Reaktion verhalten aus: Der Generalsuperintendent der Berlin-Brandenburger Kirche wurde zum Magistrat einbestellt und belehrt, dass solche Aktionen in Zukunft zu unterlassen seien. Einem Jugendlichen wurde als Folge für die Beteiligung das Abitur an der Volkshochschule verweigert.

»Offene Arbeit« und »Kirchentag von Unten«
Im Frühjahr 1985 sammelten Akteure der »Offenen Arbeit« 350 Unterschriften für ihr Anliegen, ein eigenes Haus für die »Offene Arbeit« (OA) zu gründen. Die Kirchenleitung sah sich unter Zugzwang gesetzt und begann zu verhandeln.
Die Gespräche blieben über ein Jahr lang erfolglos. Für den offiziellen Kirchentag im Sommer 1987 verbot die Kirchenleitung auf Drängen des Staates unliebsame Veranstaltungen, z.B. die Friedenswerkstatt und die geplante Nachfolgeveranstaltung der Blues-Messen. Als Antwort organisierten die Berliner OA und kirchliche Basisgruppen, die von der Politik der Kirchenleitung enttäuscht waren, einen »Kirchentag von Unten«. Veranstaltungsorte waren die Pfingst- und die Galiläagemeinde. Über 6 000 Menschen aus der gesamten DDR nahmen teil. Die Westmedien berichteten ausführlich. Auf der Abschlussveranstaltung des offiziellen Kirchentages protestierten mehrere hundert Teilnehmer des »Kirchentags von Unten«. Die Bewegung blieb als »Kirche von Unten« (KvU) aktiv und drängte radikal auf Reformen in der DDR und innerhalb der Kirche. So koordinierte sie die Stimmauszählungen bei den Wahlen im Mai 1989, deckte die Wahlfälschungen auf und mobilisierte die ersten Proteste im Sommer 1989.

home
kultur am dorfplatz
Kontakt
Ausstellungen
geschichtswerkstatt